Samstag, 29. Juni 2013

Die Sache mit den Schuhen

Schuhe sind eine nützliche Erfindung, da sie die Füße vor der Witterung und unangenehmen Untergrund schützen.
Es ist ein beliebter Allgemeinplatz, dass Frauen Schuhe lieben. Ein Lieblingsstereotyp kann man sagen. Sicher gibt es auch eine Menge Frauen, bei denen das zutrifft. Ich gehöre nicht dazu. Selbständlich weiß auch ich den praktischen Nutzen von Schuhen zu schätzen. Ich achte darauf, dass meine Schuhe sich einigermaßen in mein sonstiges Erscheinungsbild fügen. Aber ich nenne eine überschaubare Anzahl von Schuhen mein eigen und habe keine besondere Freude am Schuhkauf (ebenso wenig wie am Kauf aller anderen Dinge. Ja, ich gebe zu: Shoppen finde ich, ist eine nervige Pflicht.)
Mein Kind hat zur Zeit ein großes Interesse an Schuhen. Sie versucht eifrig zu lernen sie anzuziehen. Wenn ihre Schuhe in Reichweite sind, kommt sie ständig mit ihnen an. Und auch uns schleppt sie unsere Schuhe ran, wenn sie sie in die Finger bekommt.
Wenn wir woanders sind und dort die Schuhe ausziehen (z.B. zu Besuch oder in der Krabbelgruppe, wo die Schuhe meist gut erreichbar auf dem Boden abgestellt werden), dann passiert es in aller Regel eher früher als später, dass sie uns erst ihre und dann unsere Schuhe bringt und das mit dem klaren Aufforderungscharakter: 'Los! Anziehen!'
Immer wieder bekommen wir dann einen Kommentar zu hören, wie "Typisch Frau, liebt Schuhe...".
Ich weiß natürlich, dass das von den Leuten nicht bierernst gemeint ist. Aber sie bringt uns ja die Schuhe, weil sie raus gehen will. Wenn man ihr und sich selbst die Schuhe angezogen hat, rennt sie zur Tür. Denn den Zusammenhang Schuhe = nach draußen gehen, kennt sie inzwischen. Drinnen in der Bude findet sie es langweilig. Sie möchte lieber draußen spielen. Und die Leute, die solche Kommentare machen, kennen die Zusammenhänge, in denen sie dieses Verhalten zeigt.
Wenn kleine Jungen deutlich machen, dass sie nach draußen möchten, dann ist das 'typisch Jungs'. Aber bei meiner Tochter wird es mit 'Typisch Frau = liebt Schuhe' assoziiert und kommentiert.

Freitag, 14. Juni 2013

Über meine Motivation diesen blog zu schreiben

Manch eine/r meiner wenigen Leser/innen fragt sich vielleicht, warum ich so einen eher langweiligen blog führe. Die Inhalte werden recht trocken dargelegt und ich beschreibe die Situationen ziemlich distanziert. Das ist alles andere als schillernd und nicht grade geeignet hunderte von Leser/innen zu gewinnen.
Es gibt zwei wichtige Gründe, warum dieser blog so ist, wie er ist: 1. Dokumentation und 2. Datenschutz.

1. Dokumentation
Ich habe ja schon einmal beschrieben, wie schwierig es für die Forschung ist die Geschlechtssozialisation auch nur einigermaßen vernünftig zu zu erfassen. Ich interessiere mich sehr für die vielen kleinen Aspekte der Geschlechtssozialisation, die sich so zusammensummieren. Abgesehen von meinem grundsätzlichen Interesse für Geschlechterforschung, gibt es auch noch einige biografische Bezugspunkte. Meine Eltern kamen sich nämlich immer sehr emanzipiert vor. Sie und viele ihrer Freund/innen rühmten sich einer geschlechtsneutralen Erziehung und dennoch war ich immer "ein richtiges Mädchen", war schlecht in Mathe und Naturwissenschaften und interessierte mich für Sprache, Kunst und Kultur. Ich mochte Ballet und nicht Fußball. Meine Eltern haben sich darüber nicht wirklich gewundert, aber in Diskussionen über dieses Thema fiel dann doch immer wieder die Formulierung, dass diese Geschichten der geschlechtsneutralen Eltern eben zeige, dass das Geschlecht eben doch biologisch dominiert wird. Ich kann mich aber noch an einige Vorkommnisse erinnern, die zu eben diesen Unfähigkeiten und Vorlieben beigetragen haben. Beispielsweise habe ich mir jahrelang einen Chemiebaukasten gewünscht. Meine Eltern haben diesen Wunsch vollkommen ignoriert. Ich weiß nicht ganz genau warum, ich glaube meine Mutter sagte irgendwann mal, dass sie befürchtet, dass ich die Einrichtung mit dem Chemiebaukasten ruiniere. Oder ich habe mehrfach gefragt, ob ich die alten Lego-Technik Sachen von meinem Onkel bekommen kann, die auf dem Dachboden herumlagen. Auch diese Frage wurde jedes Mal schlicht und ergreifend ignoriert. Was letztlich mit dem Zeug passiert ist, weiß ich nicht. Wenn ich aber Mädchenwünsche äußerte, dann wurde das doch zumindest thematisiert. Und mein Interesse für Sprache wurde immer sehr gefördert, u.a. mit Aufenthalten im Ausland, etc.
Das erklärt nun erstmal nur mein Interesse für das Thema Geschlechtssozialisation. Aber wie kam ich auf die Idee die Geschlechtssozialisation meines Kindes zu dokumentieren? Nun, da ich selbst in der Geschlechter- und Sozialforschung tätig war, habe ich eine Begeisterung für die qualitative Methodik entwickelt. Ich bewundere die Studie über die Arbeitslosigkeit von Marienthal. In dieser Studie nutzten sie auch Arten von "Tagebüchern" der Dorfbewohner(innen), um deren Situation zu verstehen. Danach wurden Tagebücher immer mal wieder Gegenstand empirischer Analysen. Besonders beeindruckend fand ich es in der ethnografischen Studie von Rebecca Fox über Heimtierhaltung. Sie ließ die Teilnehmer/innen ihrer Studie Heimtiertagebuch führen und wertete dies aus. So bekam sie sehr intime Einblicke in deren Beziehungen zu ihren Heimtieren. Als ich ihre Dissertation las, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass es für die Geschlechterforschung hilfreich sein könnte, wenn Menschen beginnen die Geschlechtssozialisation ihrer Kinder in Tagebuchform festhalten. Und ich beschloss dies auch zu versuchen. Deswegen versuche ich in meinem blog so neutral wie möglich meine Erfahrungen zu dokumentieren, was eben nicht grade zu einem unterhaltsamen Schreibstil führt.

2. Datenschutz
Mir ist durchaus bewusst, dass dieser blog öffentlich zugänglich ist. Ich möchte hier aber niemandem einer Öffentlichkeit aussetzen, die er oder sie nicht selbst steuern kann. Das gilt für mein Kind, wie auch für alle anderen Protagonisten dieses blogs. Daher veröffentliche ich nicht unter meinem Klarnamen und alle auftretenden Personen bekommen einen Decknamen und werden nicht so detailliert dargestellt, dass man sie leicht wiedererkennen könnte (ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass es manchmal doch möglich ist, aber ich gebe mein Bestes dies zu verhindern). Ich verlinke den blog nicht mit meinem Facebook- oder Twitterprofil. Dadurch habe ich einige Einschränkungen, die meiner Dokumentationsabsicht deutlich abträglich sind. Daher werde ich in Zukunft für alle blog-Einträge auch noch echte Tagebucheinträge schreiben, wo ich alles offener und vollständiger dokumentieren kann. Wenn irgendwann ein/e Forscher/in Interesse an einer Auswertung hat, dann kann er/sie gern mit mir Kontakt aufnehmen.

Ich würde mich auch sehr freuen, wenn andere Menschen ebenfalls solche Tagebücher führen würden, um so einer breitere Grundlage für eine wissenschaftliche Auswertung zu schaffen. Selbst wenn diese Auswertung unter Umständen erst in 5, 10 oder 20 Jahren stattfinden wird.

Jedenfalls führt auch diese Anonymisierung aller Beteiligten dazu, dass mir die Tagebucheinträge nicht grade flüssig von der Hand gehen und dem/r Leser/in einen eher distanzierten Blick auf die Situation bescheren, der nicht grade zu fesseln vermag.

Ein richtiger Junge

Ein weiteres Treffen mit unseren Bekannten und dem in diesem Post schon erwähnten "wilden Jungen" Johannes. Diesmal war der Vater nicht dabei, sondern nur die Mutter. Sie hat sich schon Mühe gegeben den kleinen Johannes zu zügeln, denn nach wie vor war es für Emma eine Herausforderung mit ihm auszukommen. Als es zum Ende unseres Treffens kam, da war Johannes Mutter schon etwas erschöpft vom vielen Johannes im Auge behalten und dafür sorgen, dass Emma auch zu ihrem Recht kommt. Ich fand, dass Emma mit der Herausforderung ziemlich entspannt umgegangen ist, z.B. wenn Johannes ihr etwas wegnahm, dann hat sie sich was neues gesucht und nur wenn er ihr wirklich weh getan hat oder sie sehr erschrocken ist, hat sie etwas gejammert. Aber richtig geweint hat sie nie. Von daher war die Situation meiner Meinung nach entspannt. Johannes Mutter kommentierte das Verhalten ihres Sohnes sei schon anstrengend, er sei eben "ein richtiger Junge". Ein Bekannter, der zugegen war und sie schon lange kennt, fand die Aussage bemerkenswert, da sie eigentlich seiner Erfahrung nach nicht der Typ für das Runterspulen von Geschlechtsstereotypen sei und selbst als Kind auch ziemlich wild gewesen ist. Zudem fand er, dass der Ausspruch "Er ist eben ein richtiger Junge!" stolz geklungen hätte, genau wie er es zuvor beim Vater gemeint hatte, festzustellen.

Ich dachte mir: so ist das halt mit älteren Kindern, die stärker sind, die nehmen den kleineren Kindern alles weg was sie interessiert, die schubsen sie herum und zeigen übermütiges Schmuseverhalten, das die Kleinen nicht immer mögen. Emma ist in der Krabbelgruppe mit den kleineren Kindern auch nicht anders. Sie hat einen besonderen Trick, denn manchmal nähert sie sich anderen Kindern von hinten und umarmt sie. Diese sind davon jedes Mal völlig überrascht und weil sie in der Krabbelgruppe alle noch nicht so standfest sind, fallen beide um. Das umarmte Kind weint dann immer, egal ob männlich oder weiblich. Der Schreck ist zu groß. Emma weint nicht, sie weiß ja, was auf sie zukommt.

Kürzlich ist in der Krabbelgruppe auch wieder einmal was Interessantes passiert: Tizia war da und hatte ein sehr schickes Kleid an, mit Blumenmuster und Tüllunterrock. Ich sagte zu ihrer Mutter: "Ein hübsches Kleid hat Tizia da an." Die Mutter antwortete: "Ja, ich habe sie zur Feier des Tages mal fein rausgeputzt, aber Tizia benimmt sich wie immer." Tizia turnte wild überall herum. Darauf hin antwortete eine andere Mutter: "Sie sieht aus wie ein Mädchen und benimmt sich trotzdem wie ein Junge."