Donnerstag, 28. März 2013

die Hütte abreißen


Bevor ich zum eigentlichen Thema dieses Posts komme, hier noch eine Vorbemerkung: Einige Leute im Bekanntenkreis bekommen nun das zweite Kind. Wenn dies ein anderes Geschlecht als das erste Kind hat, dann höre ich zuweilen, dass man ja nun "alle neu kaufen muss". Ich weiß nicht genau, was "alles" ist. Ich vermute aber, dass es vor allem um die Kleidung geht.
Was meint Ihr dazu: Habt oder würdet Ihr Eurer zweitgeborenen Tochter die Klamotten des erstgeborenen Sohnes anziehen? Oder andersherum dem zweitgeborenen Sohn die Sachen der erstgeborenen Tochter?  (Ihr könnt das gern auf Dritt-, Viert- oder Fünftgeborene übertragen, oder auf geerbte Klamotten.) Würdet Ihr zu einer komplett neuen Garderobe neigen oder nur bestimmte - zu geschlechtseindeutige - Stücke aussortieren und ersetzen?


Nun zum eigentlichen Thema: In der Krabbelgruppe gab es zwei bemerkenswerte Vorfälle

Vorfall 1: Eine Mutter erzählt, dass sie sich regelmäßig mit 7 anderen Müttern und deren Babys im Wechsel zuhause treffen. Die Mütter essen zusammen einen Happen und die Babys spielen zusammen. Gabi fragt, ob die Babys, alle sind 18 Monate alt, den jeweiligen Gastgeberinnen nicht "die Hütte abreißen". Die Mutter verneint, sie würden immer eine Spielecke im Wohnzimmer vorbereiten, es sei kein Problem. Nun fragt Gaby: "Habt ihr hauptsächlich Mädchen in der Gruppe, dass das so gut funktioniert?". Die Mutter antwortet, es seinen zwei Mädchen und sechs Jungen. Gaby erzählt dann, dass sie sowas mit ihrem Sohn früher auch gemacht habe, aber die Jungen hätten immer so ein Chaos veranstaltet, dass es nach einiger Zeit zu stressig geworden sei.

Vorfall 2: Im Gruppenraum gibt es eine Schublade, in der Zeug ist, dass für Babys nicht so gut geeignet ist. Es sind Spielzeugautos, von denen sich leicht Kleinteile ablösen können. Emma und Flyn finden die Autos sehr attraktiv. Da Emma jedoch noch so ziemlich alles in den Mund steckt, versuche ich die Schublade vor dem Zugriff der Kinder zu schützen, indem ich eine Kiste vor die Schublade stelle. Schon als ich das tue, sage ich, dass das wahrscheinlich nur eine unzureichende Maßnahme ist, aber der Versuch schade nicht. Flyn schiebt ziemlich bald die Kiste weg und erneut sind die beiden mit den kleinen Autos zugange. Ich schiebe die Kiste wieder vor und Flyns Mutter entschuldigt sich für Flyns Verhalten. Bevor ich etwas antworten kann, sagt Gaby: "Das ist sein männlicher technischer Verstand." Niemand geht darauf ein.

Was mir in solchen Situationen immer wieder auffällt, ist dass ich kaum erlebe, dass die Eltern sich an diesen geschlechtlichen Verhaltensinterpretationen beteiligen. Gaby haut diese Aussagen raus und meistens folgt darauf von seiten der Eltern nur Schweigen. Da ich nicht den Eindruck habe, dass außer mir jemand in der Gruppe gendersensibilisiert sein könnte, bin ich doch immer verwundert, dass keiner mit Gabys Bemerkungen aufgreift.

Ich muss aber auch sagen, dass mir nun seit vielen Wochen in der Krabbelgruppe nichts Spezifisches zu diesem Thema mehr aufgefallen ist. Der Tag sticht daher mit seinen zwei Vorfällen deutlich aus den letzten Wochen heraus. Und ich muss auch erwähnen, dass es eine ganze Reihe von Geschehnissen gibt, die Hardliner/innen der stereotypen Geschlechtskonstruktion optimale Vorlagen bieten würden, und nicht genutzt werden. Solche Situationen könnte man als Undoing Gender bezeichnen. (Was Undoing Gender ist, wird recht kontrovers diskutiert). Ich werde in Zukunft versuchen, mir auch solche Vorfälle besser zu merken, um auch sie verstärkt dokumentieren zu können. Im letzten Krabbelgruppentreffen hat Emma an einem entlegenen Ende des Gruppenraums eine nackte Babypuppe entdeckt. Die Puppe war eines dieser lebensecht gestalteten Modellen aus recht weichem Plastik und sie hatte einen Penis und war komplett nackt. Emma nahm die Puppe und schleppte sie durch den Raum. Sie wurde intensiv beknabbert, auf den Boden geworfen, mit den Füßen herumgetreten, wieder aufgehoben und als es ans Aufräumen ging, holte Emma die Puppe sofort wieder zurück. Doch niemand kommentierte dies. Weiterhin hatten wir dieses Mal einen vier Monate alten Säugling dabei, den sich Lola sehr interessiert ansah. Lolas Mutter sagte, dass Lola sich immer für kleine Babys interessiere würde. Auch das wurde nicht kommentiert.

Aber noch etwas ist mir in der Krabbelgruppe aufgefallen. Die meisten Babys sind ja nun über ein Jahr alt und nun geht es den Jungen an die Haare. Paul, der Älteste in der Gruppe, hat eine richtige Jungenfrisur, also einen Haarschnitt. Flyn hat die Haare mit einem Haarschneider auf ca. einen halben Zentimeter getrimmt bekommen. Karlos und Bobs Haare sind noch untouchiert. Bei den Mädchen hat noch keine irgendwie die Haare gestutzt bekommen. Lola sieht man regelmäßig mit einer Haarspange.

Freitag, 22. März 2013

Wilde Jungs

Vor kurzem waren wir bei Bekannten zu Besuch. Die haben einen Sohn, er ist etwa ein Jahr älter als Emma. Nennen wir ihn Johannes. Johannes hat einen großen Bewegungsdrang und einen ausgeprägten Willen. Emma, die grade laufen kann, weiß auch, was sie möchte, aber wie alle Laufanfänger, steht sie noch etwas unsicher auf den Beinen. Johannes ging recht grob und unvorsichtig mit Emma um: Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich, auch wenn sie das nicht wollte, er versuchte sich auf sie zu setzen, er trat auf ihre Hand und er versuchte auf sie zu springen. Sprich: er war nicht besonders rücksichtsvoll. Das kann man ja von einem zweijährigen Kind auch nicht unbedingt erwarten. Während die Mutter von Johannes und ich eine Zeit lang in der Küche waren, blieb Johannes mit den Väter und Emma im Wohnzimmer. Der Vater von Johannes sah dabei zu und kommentierte das Verhalten seines Sohnes mit Sprüchen wie:

  • "Er ist halt ein wilder Junge."
  • "So sind Jungs halt."
  • Die Frage, ob er das bei einem Mädchen anders erwarte, bejahte er.
Mein Mann war die ganze Zeit voller Sorge um unser Kind und hielt Johannes nach den oben genannten Vorfällen die restliche Zeit gründlich davon ab, Emma überhaupt zu berühren. Er war wirklich sehr verärgert, dass Johannes Vater keine Maßnahmen ergriffen hatte, um seinem Kind irgendwie begreiflich zu machen, dass es mit der jüngeren Spielkameradin vorsichtig umgehen muss. Vielmehr erschien es meinem Mann, als sei er im Grunde stolz auf das wilde Verhalten seinen Sohnes. Fairer Weise muss ich erwähnen, dass für Johannes Vater ja kaum Bedarf bestand direkt seinen Sohn an der Ausführung von unvorsichtigem Verhalten gegenüber Emma zu hindern, da mein Mann ja die ganze Zeit um Emma kreiste, wie ein Helikopter.
Anders bei der Mutter: Ich hatte Johannes Mutter dabei beobachtet, wie sie ihren Sohn im Umgang mit Emma genau beobachtete und ihn auch stets davon abhielt ihr weh zu tun und ihm erklärte, dass er mit ihr vorsichtig sein müsse: "Die Emma kann noch nicht so gut laufen, die kannst du nicht einfach an der Hand mitziehen.", etc.

Als ich später erfuhr, dass Johannes Vater das Verhalten seines Sohnes mit Verweis auf das Geschlecht erklärte und sogar noch meinte, dass Mädchen per se weniger "wild" seien, war ich doch schon erstaunt. Noch weiß ich nicht genau, wie ich die ganze Geschichte einordnen soll. Aber eines ist ganz klar: hier liegt ein glasklarer Fall von aktivem Doing Gender vor. Denn wenn einen die Bewegungsfreude und die "Wildheit" bei einem Jungen direkt als angeborenes männliches Verhalten interpretiert wird, dann ist es doch wahrscheinlich, dass daraus bestimmte Folgen im Erziehungsverhalten und allgemein in den Reaktionen auf das Kind entstehen. Andererseits frage ich mich auch, ob die große Vorsicht, die mein Mann zeigte, nicht wiederum auch Doing Gender war. Wäre er vielleicht weniger besorgt gewesen, wenn wir einen Sohn hätten?

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Samstag, 16. März 2013

Spielzeug 0-12 Monate

Angeregt durch diesen Artikel beschäftige ich mich heute mit dem Spielzeug für Babys und unseren Erfahrungen. Ich habe es bisher nicht thematisiert, weil es, wie ich es empfunden habe, für Babys sehr viel geschlechtsneutrales Spielzeug gibt und sich Geschlechtszuordnungen, wenn vorhanden, auf die rosa/blau Färbung beschränken. Für ältere Kinder dagegen gibt es beim Spielzeug zahlreiche inhaltlich-funktionale Unterschiede.

Da mein Kind nun ein Jahr alt ist und die Zeit der eindeutiger geschlechtsspezifischen Spielzeuge beginnt, ist es vielleicht sinnvoll, das erste Spielzeug-Jahr zu resümieren.

Selbstverständlich haben wir viel Spielzeug. Das gilt wohl für fast alle Babys heutzutage und wird regelmäßig von älteren Mitbürger/innen kritisiert, die häufig noch in der Nachkriegszeit unter Mangel aufgewachsen sind. Sie finden oft, dass das viele Spielzeug, das Kinder heute haben, zu einer Überreizung führe. Allerdings sind sie in Form von Großeltern und anderen Verwandten oft begeisterte Spielzeugschenker/innen. Ich habe ganz subjektiv den Eindruck, dass Jungen von Verwandten und Freund/innen der Eltern eher Spielzeug geschenkt bekommen und Mädchen häufiger Kleidung. Aber hier ist mein Erfahrungswert wirklich denkbar begrenzt und mich würde mich interessieren, welche Erfahrungen andere gemacht haben.

Was allerdings auch stimmt, ist dass Babys an Spielzeug häufig nicht so großes Interesse haben, sondern lieber die ganz normalen Dinge erkunden, Emma liebt zum Beispiel: Schneebesen, Steine, Klopapierrolle, eine knisternde Tüte, Schlüssel, Bücher, leere Kartons, die Brieftasche, ein Korb mit Wäsche, Papas Brille, Flaschen, Schuhe, etc. Doch je ängstlicher man als Eltern ist, desto weniger traut man sich das Kind mit diesen normalen Dingen spielen zu lassen. Die könnten gefährlich sein (und viele Dinge, für die sich Babys brennend interessieren, sind ja auch gefährlich). Spielzeug ist schließlich mit einem CE-Siegel versehen, oder besser noch mit Öko-Tex-Siegel oder von Stiftung Warentest oder Stiftung Öko-Test für gut befunden worden. Mein Mann gehört zu diesen eher ängstlichen Eltern. Ich werde von ihm oft gerügt, weil ich dem Baby irgendwelche Sachen gebe, die nie als Spielzeug geplant waren.

Das meiste Spielzeug haben wir nicht selbst gekauft. Im ersten Lebensjahr haben wir um die 10-15 Spielzeuge für unser Kind gekauft. Der große Rest ist geerbt oder geschenkt worden. Der allergrößte Teil davon ist meiner Meinung nach wirklich geschlechtsneutral. Die restlichen Dinge will ich hier in ihrem Kontext der Aufnahme in unseren Haushalt aufzählen:
  • 2 im rosa Dress gekleidete Püschtier-Spieluhren. Ich habe sie gekauft, weil sie in rosa so deutlich günstiger waren, als in allen anderen Farben.
  • 1 rosa Schmusetuch. Geschenk von einer Frau um die 50.
  • 1 Plüschtier-Einhorn mit rosa Glitzerhorn. Es war ein Geschenk von einem Mann Mitte 40. Wir dachten erst, es sei eine Anspielung auf den Film "Ich. Einfach unverbesserlich". Das war aber nicht der Fall. Seither steht das Einhorn auf dem Schrank, weil mein Mann es zu kitschig findet.
  • 1 kleine rosa Rasselpuppe. Geschenk eines achtjährigen Mädchens.
  • 1 Stoffhandtasche in Form einer Erdbeere. Die habe ich gekauft, weil ich sie cool fand. Das Baby liebt vor allem die Schnur zum Zuziehen an deren Ende ein Stoffblatt ist.
  • 1 kleine rasselnde Stoffmaus in rosa. Geschenk einer Frau Mitte 20. Allerdings hatte ich mit ihr und dem damals 7 Monate alten Baby im Kaufhaus vor den Babyspielsachen gestanden und ihr alle möglichen Spielsachen hingehalten, damit dem Baby das geschenkt würde, was ihr auf Anhieb gefiele. Sie entschied sich für diese Maus, die gab es auch in blau, aber die hat wesentlich belanglosere Geräusche gemacht. Diese Maus war sofort der Renner und ulkiger Weise war sie auch noch das günstigste Spielzeug in der ganzen Abteilung.
  • 1 rosa Stoffhase. Geschenk eines Mannes Mitte 30. Emma findet ihn gruselig, den Hasen meine ich.
  • 1 Musik-Activity-Center mit deutlichem rosa-lila-Akzent. Das war ein Geschenk der Großeltern zu Weihnachten, aber wir haben es ausgesucht. (Das Ding funktioniert jetzt schon nicht mehr einwandfrei.) Wir waren damals kurz vor Weihnachten ziemlich in Eile, als wir es ausgesucht haben. Zuerst fanden wir nur dieses rosa-lila-Ding, das unseren Ansprüchen genügte. Wir haben es dem Baby gezeigt und es reagierte sehr interessiert. Später entdeckte ich dieses Center mit den gleichen Funktionen nochmal in einer bunten Version ohne rosa-lila. Ich wollte dann lieber dieses Neutralere nehmen, aber das Baby klammerte sich bereits an das rosa-lila Ding und mein Mann meinte, dann könnten wir das genauso gut behalten. Sie beschäftigt sich ganz gut mit dem Musikcenter, jedoch gibt es meiner Meinung nach daran etliches auszusetzen, etwa dass die Knöpfe und die Lieder nicht fest zusammengehören, sondern nach dem Zufallsprinzip abgespielt werden. Aber dies ist ja keine Produktbewertung, deswegen gehe ich hier nicht ins Detail.
  • 1 rosa Lauflernplastikrad in Ponyform. Es gibt einen Knopf zum Musikmachen und vorn einen Korb mit einer Puppe drin. Auf der Puppe, die weitgehend rosafarben ist, steht "Babys 1st Doll". Es ist tatsächlich ihre erste Puppe. Hierbei handelt es sich um ein Geschenk der Großeltern zum ersten Geburtstag und sie haben es diesmal selbst ausgesucht. Meiner Meinung nach ist es das erste Spielzeug, dass deutlich weibliche Geschlechststereotype über die Farbe rosa hinaus anspricht: Diese Ponyform und die Puppe. Google sagt jedoch: Es gibt das Teil auch in nicht-rosa... Bisher kann Emma darauf noch nicht fahren, aber sie liebt den Knopf zum Musikmachen. Die Puppe findet sie solala, aber der Korb ist toll, da werden ganz gern Bauklötze und andere Dinge hineingetan.
  • Autos: Wir besitzen zwei Spielzeugautos, eins aus Plastik mit einer tollen Rassel dran, das alle Babys in der Krabbelgruppe unabhängig vom Geschlecht sehr toll finden. Es ist geerbt/geliehen von einem Jungen. Dann habe ich noch ein lustiges Holzauto gekauft, das so rumpelig fährt. In den Händen des Babys ist es eine gefährliche Waffe. Ich finde nicht im geringsten, dass Autos für "Jungs" sind, aber da das oft so dargestellt wird, zähle ich sie hier mit auf. Die Autos sind beide rot.
  • Zur Geburt haben wir von Freunden eine Handpuppe bekommen: einen Ritter. Ritter und Burgen... sowas gilt ja gemeinhin als Bastion der Männlichkeit. Emma liebt den Ritter. Sie hat noch zwei weitere Handpuppen: Einen Marienkäfer und einen Bären. Der Ritter ist jedoch ihr Favorit.
Fazit: 10 Spielzeuge (mit Akzenten) in "Mädchenfarben". 3 Spielzeuge, die als "Jungenspielzeuge" gelten könnten.
Auch in der Krabbelgruppe habe ich bisher kaum geschlechtsspezifisches Spielzeug wahrgenommen und ich habe auch nicht bemerkt, dass Eltern in diese Richtung Bemerkungen gemacht hätten.

Ich kann mir wirklich nur schwer vorstellen, dass das Spielzeug in diesem ersten Lebensjahr tatsächlich ein bedeutender Baustein in Emmas Geschlechtssozialisation war. Auf anderweitige Meinungen oder Erfahrungen bin ich gespannt.


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Montag, 4. März 2013

Ich nehm' alles zurück ;-)

Heute waren wir mit dem Buggy unterwegs. Der Buggy ist innen Pink ausgekleidet und sonst schwarz. Emma trug eine lila-geblümte Hose, blaue Schuhe und eine blaue Jacke mit Lila am Bündchen und an der Kapuze. Die Mütze war grau mit dezent rotem Muster (nein, ich finde nicht, dass es sich mit dem Lila beißt). Meinen Erfahrungswerten nach, wäre sofort erkenntlich gewesen, dass sie ein Mädchen ist.

Wir trafen eine ältere Dame, die ebenfalls mit einem Buggy unterwegs war. Darin saß ein weitgehend rosa gekleidetes Kind im gleichen Alter wie Emma. Die Frau rollt sofort auf uns zu und stellt den Buggy so, dass sich die Kinder angucken können. Und sie fragt uns: "Ist das ein Junge oder ein Mädchen?". "Ein Mädchen.", "Ja, siehst Du xy, ein Mädchen, genau wie du." sagt sie zu dem Kind.

Ich glaube, die Frau hat nicht aus reiner Interaktionsfreude gefragt. Die war sich wirklich nicht sicher und hatte kleine Lust groß um den heißen Brei zu denken. Daher war ich durch die Frage schon etwas überrascht.

Freitag, 25. Januar 2013

Willst du ein Brüderchen oder Schwesterchen?

Wenn das zweite Kind im Anmarsch ist, dann fällt früher oder später die Frage ans erste Kind, welches Geschlecht beim jüngeren Geschwister erwünscht wird. Und es gibt die passenden Kommentare:
»Mit einem Bruder kannst du Fußball spielen. Mädchen interessieren sich doch nur für Puppen.«
Live O-Ton.
Da fällt mir auch nichts mehr zu ein...

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Sättigung?

In der letzten Zeit war ich des Bloggens etwas müde. Ich vermute, dass es unter anderem daran liegt, dass zur Zeit eine gewisse Sättigung in meinem Erkenntniszugewinn vorliegt. Babys in dem Alter geben einem hauptsächlich drei Möglichkeiten mit Doing Gender auf sie zu reagieren:

  1. Man kann ihre 'Fassade' geschlechtsstereotyp gestalten (ob dies Doing Gender ist, werde ich an anderer Stelle diskutieren). So gut wie alle Menschen erwarten heutzutage, dass auch bei Babys das Geschlecht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Dabei gilt die Formel, dass alle Rottöne (rosa, rot bis lila) und gewisse Applikationen, wie etwa Spitze, sowie gewisse Motive, wie etwa Blümchen, einen Hinweis auf Weiblichkeit geben. Das bedeutet weiterhin, dass alle anderen Farben, so auch grün und gelb, ohne additive weibliche Hinweise, als männlich wahrgenommen werden.
    Eine Begebenheit beim Spaziergang verdeutlichte mir, wie zügig die Menschen weibliche Details erkennen können. Emma saß in ihrem grauschwarzen Kinderwagen und trug eine dunkelblaue Jacke. Eine fremde Frau, mit der ich eine kurze Unterhaltung führte, war sofort in der Lage sie als Mädchen zu identifizieren, weil das Innenfutter der Kapuze aus fliederfarbenem Teddystoff besteht, der in einer Borte die Außenseite der Kapuze umrandet. Eine andere Frau, der wir beim Einkaufen von Babykleidung mehrmals begegneten, sagte zu mir meine Tochter sei wohl eher ein 'Tomboy', weil sie Emma in dem hellbraunen Teddyanzug für einen Jungen gehalten hatte und ihr wahres Geschlecht 'erkannte', als ich ihr eine lilafarbene Jacke anprobierte. Weiß erscheint mir die einzige weitere Farbe, die auch verstärkt weiblich konnotiert ist bei Babykleidung. Die weiblichen Teddy-Anzüge etwa, die ich im Internet gefunden habe, waren oft weiß, die männlichen beige.
    Weiterhin ist mir aufgefallen, dass so gut wie alle Eltern und Großeltern, mit denen ich darüber sprach, diese geschlechtsdifferenzierte Babykleidung mögen und 'süß' finden. Bei amazon und ebay ist es teilweise (!) möglich explizit nach geschlechtsneutraler Babykleidung zu suchen. Es gibt natürlich auch gewisse Basics, die häufig geschlechtsneutral sind, wie etwa Bodys. Aber dennoch sind mir bislang nur in Ausnahmefällen geschlechtsneutral gekleidete weibliche Babys aufgefallen. Da das Spektrum für Jungen so breit ist, könnte man hier öfter mal sagen: "Naja, das könnte ja auch ein Mädchen tragen." Aber so wirkt die Erkennbarkeit bei männlichen Babys im Vermeiden von weiblichen Farben, Motiven, Applikationen und Accesoires und die Erkennbarkeit von weiblichen Babys genau umgekehrt im Verwenden ebendieser. Das scheint auf das Prinzip der Sonderstellung des Weiblichen und der Neutralität des Männlichen hinzuweisen. Ich würde spontan annehmen, dass dies bei der Kleidung für Erwachsene nicht mehr so ist. Wobei auch hier Männer meistens alle Zeichen von Weiblichkeit an ihrer Kleidung vermeiden. Aber Frauen steht ein weites Spektrum an Farben und Formen zur Verfügung. Dies ist wahrscheinlich darin begründet, dass Erwachsene durch die Gestaltung ihres unmittelbaren Körpers bereits vielfach recht eindeutig ihr Geschlecht kommunizieren. Jetzt auch mal abgesehen von Frisur und Schminke, hat ein erwachsener Mensch die Körpersprache und Mimik seines Geschlechts meist derart verinnerlicht, dass immenses Training notwendig ist, will man erfolgreich das andere Geschlecht vortäuschen. Dies fehlt bei Babys komplett und deswegen MUSS die Erkennbarkeit des Geschlechts durch die Kleidung übermittelt werden.
  2. Die Interpretation des Verhaltens von Babys. Weint ein Baby, wird dies häufig als weibliches Verhalten gedeutet. Ich kann hier leider nur auf Vorfälle in der Krabbelgruppe zurückgreifen. Jedoch wurde kleinen Mädchen mehrfach bescheinigt, wie ein 'richtiges Mädchen' zu weinen und kleinen Jungen 'wie ein Mädchen' zu weinen. Aktives und erkundendes Verhalten wurde häufig als typisch für Jungen gedeutet. Bei Mädchen wird das gleiche Verhalten unkommentiert belassen. Schüchternheit dagegen wird bei Mädchen als weibliches Verhalten expliziert. Auch hier verfüge ich nur über Erfahrungen in der Krabbelgruppe.
  3. Verhalten in der Interaktion mit dem Baby. Und jetzt kommt der große Knackpunkt. Wie soll ich wissen, ob die Art wie wir mit den Babys umgehen geschlechtsspezifisch unterschiedlich ist? Wird ein Mädchen eher getröstet, wenn es weint? Wird ein Junge mehr ermuntert, seine Umwelt zu erkunden? Das größte Problem daran ist die IMMENSE Spannbreite des individuellen Verhaltens. Sowohl wir als Eltern verhalten uns per se alle sehr unterschiedlich, als auch dass wir auf jedes Kind unabhängig vom Geschlecht bereits unterschiedlich reagieren. Hier kann also geschlechtsspezifischer Umgang mit dem Kind eigentlich nur erkannt werden, wenn es verbalisiert wird. Aber selbst diesen Verbalisierungen ist nicht zu trauen. Auch Introspektion hilft kaum weiter, weil ich ja als Elternteil nur eine begrenzte Zahl von Kindern groß ziehe, die ich alle als sehr individuell wahrnehme. Ich bin da ja wahrscheinlich sogar als gendersensibilisierter Mensch mehr als genug blinden Flecken unterlegen. Dies ist wohl leider ein Bereich, und zwar ein ausnehmend bedeutender, der der Feldforschung  vorenthalten bleibt. Man bräuchte wirklich ganz andere Mittel, wenn man das Phänomen der Geschlechtssozialisation empirisch qualitativ wie quantitativ sauber erforschen möchte.
Wie eine sozialwissenschaftliche Forschung aussehen müsste, die den Punkt 3 einigermaßen valide bearbeitet, möchte ich hier einmal kurz skizzieren:
  • In einer intensiven Vorbereitungsphase müsste man sowohl theoretisch, wie auch qualitativ-empirisch herausarbeiten, welche bedeutenden für die Geschlechtsdifferenz relevanten Verhaltensweisen und Reaktionen Eltern gegenüber ihren Kindern zeigen können. Etwa: Das Baby beginnt zu weinen, wie lange wartet die Betreuungsperson, bis sie zum Baby geht und was tut sie dann? Allein bei dieser recht einfach erscheinenden Frage gibt es viele Variablen zu beachten: Man müsste z.B. unterschiedliche Arten von Weinen und Schreien von Babys ausmachen und dies empirisch objektivierbar machen. Man müsste einen Katalog an relevanten Verhaltensweisen plus dazugehörige Beobachtungsschemata zur Einordnung der Verhaltensweisen ausarbeiten.
  • In einer groß angelegten empirischen Phase müsste man dann Elternverhalten audiovisuell dokumentieren und zwar in den Bereichen: Privat (z.B. zuhause, zu Besuch bei Verwandten), halböffentlich (z.B. Krabbelgruppe, Babyschwimmen) und öffentlich (z.B. Spielplatz, Ladenlokale). Die größte Validität würde sich durch eine Panelanalyse ergeben, das bedeutet, dass die selben Eltern über einen längeren Zeitraum, sagen wir mal für die ersten vier Lebensjahre des zur Studie gewählten Kindes, immer wieder aufgezeichnet werden in der Interaktion mit ihrem Kind.
  • Parallel dazu wäre es sinnvoll, die Eltern zu befragen, nicht nur für die Erfassung der sozioökonomischen Labels, sondern auch um Besonderheiten der aktuellen Lebenslage zu erfassen, etwa entstandene Stressoren.
  • Die Gruppe der Teilnehmenden müsste im besten Fall randomisiert ausgewählt werden und mehrere Tausend Zielkinder in der Interaktion mit ihren Eltern umfassen. (Eine Drop-out-Analyse derjenigen, die sich weigern an der Studie teilzunehmen, wäre unbedingt von Nöten.) Sollte eine randomisierte Auswahl nicht möglich sein (was bereits der Fall ist, wenn die Teilnehmerzahl zu klein ist), müsste man versuchen einen möglichst breiten Zugang zu finden, sowohl geografisch, wie auch sozioökonomisch/ milieudifferenziert. 
  • Dieses audiovisuelle Material müsste dann entsprechend des Katalogs und der Beobachtungsschemata von zwei unabhängigen Personen einsortiert werden, strittige Fälle würden einer Supervision unterzogen.
  • Die dadurch entstehenden Daten kann man dann mit den entsprechenden Formeln durchrechnen.
  • Weiterhin wäre es sinnvoll, das audiovisuelle Material zum Teil auch einer ergebnisoffenen und freien Interpretation zugänglich zu machen (bspw. alle Szenen, die in die Supervision aufgenommen wurden, sowie einige stichprobenartige Szenen), um so eventuell entstandene Erkenntnislücken des Katalogs und der Beobachtungsschemata zu finden. Dies würde sicherlich die laufende Überarbeitung des Katalogs und der Beobachtungsschemata notwendig machen, was bedeutet, dass das Material, das bereits bearbeitet wurde, unter Umständen erneut gesichtet werden müsste.
  • Es wäre auch denkbar bestimmte, als Schlüsselszenen ausgemachte Abschnitte des Materials mit den Eltern gemeinsam anzuschauen und sie dazu zu befragen, um zusätzliche introspektive Informationen zu bekommen.
Ich denke jeder Leserin, jedem Leser dürfte klar sein, dass ein solches Forschungsunterfangen nicht nur extrem kostenintensiv wäre, sondern auch forschungspraktisch vor zahllosen, kaum überwindbaren Hindernissen stünde. Welche Eltern würden schon zulassen, dass man in ihren Privaträumen eine Videoüberwachung installiert? Weiterhin müsste man mit vielen empirischen Effekten rechnen, etwa Beobachtungseffekten und eine Sensibilisierung mancher Eltern auf das Thema, die sonst nicht eingetreten wäre, etc.
Ein weiteres Problem möchte ich anhand eines Beispiels aus meinem eigenen Leben kurz schildern:
Als ich im Grundschulalter war, da wünschte ich mir einen Chemiebaukasten. Wenn meine Eltern mich fragten, was ich zum Geburtstag oder zu Weihnachten haben wolle, äußerte ich regelmäßig diesen Wunsch. Er wurde mir jedoch nie erfüllt. Mehrmals fragte ich meine Eltern, warum sie sich weigerten mir einen Chemiebaukasten zu kaufen und sie äußerten dann die Sorge, dass ich damit das Wohnungsinterieur beschädigen könnte. Dann gab es Lego-Technik-Spielzeug von meinem Onkel auf unserem Dachboden. Mehrmals fragte ich meine Eltern, meinen Onkel und meine Großeltern, ob ich dieses Spielzeug nicht haben könne, aber dieser Wunsch wurde beharrlich ignoriert. Sie sagten einfach gar nichts dazu.
Da meine Eltern keinen Sohn hatten, kann ich nicht beurteilen, ob ihm bezüglich des Chemiebaukastens und des Lego-Technik-Spielzeugs das gleiche Schicksal widerfahren wäre. Ich will meinen Verwandten auch gar keinen Vorwurf machen, ich meine nur, dass ein solches Ignorieren, sowohl von verbalen Äußerungen des Kindes, wie auch von bestimmten Verhaltensweisen, einen sehr effizienten Einfluss beispielsweise auf die spätere Berufswahl nehmen kann, dass es sich hierbei aber nur um sehr kurze und seltene Szenen in meiner Lebensgeschichte handelt.
Worauf ich damit hinaus will: Es können sehr vereinzelte und kurze Interaktionssequenzen zwischen Eltern und Kindern vorkommen oder eben NICHT vorkommen, die eine immense Auswirkung auf das weitere Leben oder viel später getroffene Lebensentscheidungen haben können. Und je früher diese Sequenzen vorfallen oder NICHT vorfallen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sich ein dazu befragter Erwachsener noch daran erinnern kann.
Und da man unmöglich die ersten vier Lebensjahre von untersuchten Kindern (oder eben einen gewählten Zeitabschnitt, innerhalb dessen sich die Geschlechtsidentität herausbildet) komplett audiovisuell dokumentieren und auswerten kann, sondern immer nur einen vergleichsweise geringen Teil, ist die Chance statistisch gesehen relativ hoch, dass entscheidende Situationen eben nicht dokumentiert sind. Und selbst wenn solche Szenen dokumentiert sind, so bleibt der auswertenden Beobachertin/ dem auswertenden Beobachter weitgehend vorenthalten, wie tief der Eindruck ist, den bestimmte Vorfälle bei den beobachteten Kindern hinterlassen, welche genauen Gefühle sie auslösen, welche Erinnerungen sie daran behalten und welche Schlussfolgerungen für ihr eigenes Handeln sie daraus ziehen. Und mit Kindern kann man auch bedeutend schlechter, als mit Erwachsenen, solche Szenen später gemeinsam reflektieren, da sowohl Introspektion, als auch Reflexion Fähigkeiten sind, die erst im Laufe der Kindheit bis in die Adoleszenz hinein entwickelt werden (können).

Meine Arbeit an diesem Tagebuch kann man also nur verstehen als die Vor-Vorarbeit zu einer wenn überhaupt, dann erst in weiterer Zukunft stattfindenden umfassenden Erhebung und Analyse der Geschlechssozialisation. Es sind nichts weiter als ergebnisoffene Notizen einer geschlechtssensibilisierten Mutter, die versucht im Dickicht der Lebenswelt einzelne Fäden aufzunehmen und ihnen zu folgen, um wenigstens einen groben Eindruck davon zu bekommen, welche Meilensteine der Geschlechtssozialisation sie vorfinden kann.


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Mittwoch, 14. November 2012

Goffman: Geschlechtsklassen

"In allen Gesellschaften werden Kleinkinder bei ihrer Geburt der einen oder anderen Geschlechtsklasse zugeordnet, wobei diese Zuordnung durch das Ansehen des nackten Kinderkörpers, insbesondere der sichtlich dimorphen Genitalien geschieht - eine Zuordnugspraxis, die derjenigen ähnelt, die bei Haustieren vorgenommen wird. Diese Zuordnung aufgrund der körperlichen Gestalt erlaubt die Verleihung einer an das Geschlecht gebundenen Identifikationskette. (...) In den verschiedenen Phasen des individuellen Wachstums wird diese Klassifizierung durch Kategorien für weitere körperliche Anzeichen bestätigt, von denen einige dem allgemeinen Wissensbestand angehören, andere (wenigstens in modernen Gesellschaften) von den Wissenschaften entwickelt wurden und beispielsweise als Chromosomen, Gonaden und Hormone bezeichnet werden. Jedenfalls betrifft die Einordnung in die Geschlechtsklassen fast ausnahmlos die gesamte Population und beansprucht lebenslange Geltung. Somit liefert sie ein Musterbeispiel, wenn nicht sogar den Prototyp einer sozialen Klassifikation. Zudem scheint uns in modernen Gesellschaften die soziale Einteilung in Frauen und Männer in völligem und getreuem Einklang mit unserem 'biologischen Erbe' zu stehen und kann daher unter keinen Umständen verleugnet werden. Wir haben es mit einer einzigartigen Übereinstimmung zwischen dem unmittelbaren Verständnis der einfachen Leute und den Erkenntnissen aus Forschungslaboratorien zu tun. (...)
Ich möchte deshalb wiederholen, daß ich unter dem Begriff Geschlechtsklasse ('sex class') eine rein soziologische Kategorie verstehe, die sich allein auf diese Disziplin und nicht auf die Biowissenschaften bezieht." (S. 107 ff.)
In diesem zugegeben sehr langen Zitat finden sich eine Menge zentrale Punkte:
  • Die Zuordnung des Geschlechts erfolgt direkt nach der Geburt durch die Betrachtung des nackten Kinderkörpers und wird anhand der sichtbaren Genitalien vorgenommen. Heute, das beschrieb ich schon mal hier, wir die Geschlechtszuordnung ja bereits häufig vor der Geburt betrieben. So weit es jedoch ausschließlich per Sonografie geschieht, erlangt erst der Blick auf das nackte Neugeborene zu einer rechtsgültigen und endgültigen Klassifikation. Es gibt immer wieder Fälle, wo die Diagnose der Sonografie falsch war. Hat man anhand von Biopsiematerial eine Genanalyse während der Schwangerschaft durchführen lassen, so wird diese Genanalyse wahrscheinlich mehr Gültigkeit besitzen, als der Blick auf das Neugeborene. Solche Möglichkeiten gab es für die breite Bevölkerung noch nicht, als der Artikel entstand. Goffman merkt dennoch in einer Fußnote an, dass es bei der Zuordnung zur Geschlechtsklasse auch Abweichungen von der Regel geben kann, aber er betont hierbei handle es sich um Ausnahmen und fügt an, dass "die Zuordnung zu einer Geschlechtskategorie im Vergleich zu allen anderen Zuordnungen sehr streng vollzogen wird." (S.108). Ein Beispiel für die Richtigkeit dieser Annahme sind die immensen Auflagen, denen Transsexuelle unterliegen, wenn sie ihr Geschlecht im Personalausweis ändern wollen, um so 'offiziell' dem anderen Geschlecht anzugehören. Das deutsche Recht sieht vor, dass der zu vergebende Vorname geschlechtseindeutig ist.
  • Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich lesen, wie Goffman darauf verweist, dass die Zuordnung zur Geschlechtsklasse bei Haustieren (damit sind aller Wahrscheinlichkeit alle domestizierten Tiere, also auch Nutztiere und nicht nur Heimtiere gemeint, siehe hier) ganz ähnlich ist. Es handelt sich hierbei wohl um eine jahrtausendealte und sehr pragmatische Tradition. Wir Menschen sind eben auch Tiere.
  • In diesem Abschnitt grenzt sich Goffman mit großer Deutlichkeit vom biologischen Geschlecht ab. Die Behandlung des biologischen Geschlechts überlässt er den Biowissenschaften. Ihn interessiert die soziale Klassifikation und deren Folgen. Hier bestätigt er nochmals, was er im vorigen Abschnitt bereits andeutete.
  • Die soziale Klassifikation in Männer und Frauen ist sehr basal und wird äußerst konsequent und streng betrieben. Es ist damit wirklich ein Musterbeispiel für eine Klasse. Und es ist auch (bisher)  nicht möglich außerhalb dieser Klassifikation zu leben. Die Ernsthaftigkeit mit der die Geschlechtsklassifikation betrieben wird, trägt wahrscheinlich maßgeblich dazu bei deren allgegenwärtige und meist völlig unhinterfragte Selbstverständlichkeit im Alltag zu sichern: Sie fühlt sich an wie unser 'biologisches Erbe', wie etwas vollkommen Vor-gesellschaftliches.
  • Die Tatsache, dass Alltagsverstand und Wissenschaft sich die Geschlechtseinteilung ganz unkritisch teilen, lässt Goffman, so interpretiere ich das, skeptisch werden.