Freitag, 13. September 2013

Fußball, Ballerinas und Wildheit bei Mädchen

Mir ist kürzlich doch noch eine Anekdote aus der Krabbelgruppe eingefallen. Gaby sagte: "Also die Lola wird bestimmt mal später Ballett machen und die Emma wird später eher Fußball spielen." Ich fragte sie, wie sie darauf käme und sie antwortete: "So von ihrer Art her sagt mir das mein Gefühl." Lola ist klein und zierlich und ziemlich schüchtern. Emma ist relativ kräftig und erkundet ihre Umgebung stets mit erstaunlicher Angstfreiheit. Vor allen Dingen körperlich traut sie sich sehr viel zu, insbesondere was das Klettern betrifft.

Dann gab es kürzlich einen Vorfall beim Kinderarzt. Wir saßen im Wartezimmer und Emma war in ein rosa Ballerina-Outfit gekleidet. Eine Frau mit zwei Töchtern kam ins Wartezimmer. Das ältere Mädchen war ca. 6 Jahre alt. Das jüngere Mädchen war etwa 3 Jahre alt. Emma war nicht sehr gut drauf und begann etwas zu weinen. Dann sagte das jüngere Mädchen zu ihre Mutter: "Der kleine Junge weint." Darauf hin sagte die Mutter zu ihr: "Ich glaube das ist ein kleines Mädchen.", "Echt?" fragte die Tochter. "Ja, weißt Du, kleine Kinder die rosa tragen, das sind meistens Mädchen. Guck mal, du hast ein rosa T-Shirt an, und was bist Du: ein Mädchen oder ein Junge?" "Ein Junge!" antwortete sie promt. Ihre Mutter lachte und sagte: "Naja, von deinem Verhalten her könnte das hinkommen." Die große Schwester lachte darüber. Danach wurde das Thema nicht weiter vertieft. Im Wartezimmer saßen noch zwei weitere Mütter mit ihren kleinen Kindern.

Montag, 19. August 2013

Saure Gurkenzeit, oder was?

Ich bin ja sowieso nicht die ganz fleissige Bloggerin. Aber in letzter Zeit kommt mir nichts mehr unter, das ich für blogwürdig erachte. Die Krabbelgruppe ist in die Sommerpause gegangen und nach den Ferien dürfen wir nicht mehr kommen, weil das Kind dann zu alt ist. Es kann ja schon laufen. Unsere Gruppe wurde aufgelöst. Bald werde ich zum Kinderturnen gehen, mal sehen, was da so los ist. Ich war einige Male zum Probe-Kinderturnen und dort ist mir nichts aufgefallen. Die kleinen Mädchen und Jungen toben, die Eltern machen entweder mit oder sitzen am Rand und unterhalten sich oder lesen. Der Trainer, ein gutmütiger und äußerst kinderlieber Rentner, zeigte in meiner Anwesenheit kein auf die Kinder gerichtetes doing gender.

Kürzlich waren wir wieder Schuhe kaufen und ich konnte ein Gespräch verfolgen, in dem sich die Verkäuferin bei einer Kundin darüber beklagte, dass ihr Sohn bei seiner Hochzeit den Namen seiner Frau angenommen habe. Bei ihren Töchtern habe sie das ja erwartet, aber bei ihrem Sohn findet sie es schlimm. Sie erzählte dann, dass ihr Sohn und seine Frau einen sehr triftigen Grund für diese Entscheidung hatten (sie hat ein Haus und möchte nicht verpflichtet sein überall ihren Namen zu ändern... Er hätte dann zwar immer noch seinen Namen behalten können, aber diese Option kam wohl aus einem anderen Grund nicht in Frage, hatte vielleicht auch mit dem Haus zu tun). Doch trotz des triftigen Grundes, den sie nachvollziehen konnte, litt sie nach eigener Aussage sehr unter dem Namenswechsel. Erst kürzlich habe sie eine alte Bekannte getroffen, die gedacht habe, sie hätte ihren Sohn getroffen, dann aber seinen Nachnamen erfahren habe und deshalb gedacht hatte, es sei doch nicht ihr Sohn gewesen. Denn man rechnet ja nicht damit, dass ein Mann seinen Namen ändert. Das sei doch irgendwie schlimm. Das hatte natürlich alles nichts mit meiner Tochter zu tun, die diese ganze Unterhaltung sowieso nicht verstanden hat und mit anderen Dingen beschäftigt war.

Das einzige Thema, das weiterhin fortlaufend mit dem Herstellen von Geschlecht zu tun hat, ist eben Kleidung und zunehmend auch die Frisur. Emma ist jetzt anderthalb. Die meisten Jungen in ihrem Alter bekommen schon die Haare geschnitten (außer sie haben extrem langsam wachsendes Terminalhaar). Bei den Mädchen dagegen lassen es alle, die ich kenne, wachsen. Da wird eventuell der Pony geschnitten. Das bedeutet, dass jetzt langsam die Zeit beginnt, in der auch unabhängig von der Kleidung das Geschlecht erkannt werden kann. Wir lassen Emma das Haar auch wachsen und sie hat für ihr Alter bereits sehr langes, dichtes, gelocktes Haar. Passanten sind oft sehr angetan von ihrem Aussehen. Eine ältere Frau im Supermarkt sagte zu ihr: "Du siehst aus wie eine Käthe Kruse Puppe." Es gibt auch Jungen-Käthe-Kruse-Puppen, aber ich bin sicher, so eine meinte sie nicht. Selbst wenn Emma eine Mütze trägt, kann man die Locken überall herausblitzen sehen. Ich würde Stein und Bein darauf schwören, dass ich die Haare auch nicht geschnitten hätte, wenn sie ein Junge wäre. Ihr Vater hatte als Kind genau die gleiche Frisur und seine Mutter hatte lange die Locken nicht abschneiden zu lassen. Das führte schon dazu, dass viele Fremde dachten, er sei ein Mädchen. Aber abgesehen von meiner grundsätzlichen Begeisterung für die tollen Locken (ich wollte auch immer welche), stelle ich es mir bei meinem Kind auch sehr schwer vor, das überhaupt zu tun. Sie lässt nicht gern an sich herumfummeln, erst Recht nicht Fremde und ich würde niemals selbst die Haare schneiden.
Es würde mich interessieren, was andere Eltern hier für Erfahrungen gemacht haben, vor allem bei Jungen. Aber es gibt ja bestimmt auch Eltern, die ihren Töchtern die Haare kurz schneiden.

Samstag, 29. Juni 2013

Die Sache mit den Schuhen

Schuhe sind eine nützliche Erfindung, da sie die Füße vor der Witterung und unangenehmen Untergrund schützen.
Es ist ein beliebter Allgemeinplatz, dass Frauen Schuhe lieben. Ein Lieblingsstereotyp kann man sagen. Sicher gibt es auch eine Menge Frauen, bei denen das zutrifft. Ich gehöre nicht dazu. Selbständlich weiß auch ich den praktischen Nutzen von Schuhen zu schätzen. Ich achte darauf, dass meine Schuhe sich einigermaßen in mein sonstiges Erscheinungsbild fügen. Aber ich nenne eine überschaubare Anzahl von Schuhen mein eigen und habe keine besondere Freude am Schuhkauf (ebenso wenig wie am Kauf aller anderen Dinge. Ja, ich gebe zu: Shoppen finde ich, ist eine nervige Pflicht.)
Mein Kind hat zur Zeit ein großes Interesse an Schuhen. Sie versucht eifrig zu lernen sie anzuziehen. Wenn ihre Schuhe in Reichweite sind, kommt sie ständig mit ihnen an. Und auch uns schleppt sie unsere Schuhe ran, wenn sie sie in die Finger bekommt.
Wenn wir woanders sind und dort die Schuhe ausziehen (z.B. zu Besuch oder in der Krabbelgruppe, wo die Schuhe meist gut erreichbar auf dem Boden abgestellt werden), dann passiert es in aller Regel eher früher als später, dass sie uns erst ihre und dann unsere Schuhe bringt und das mit dem klaren Aufforderungscharakter: 'Los! Anziehen!'
Immer wieder bekommen wir dann einen Kommentar zu hören, wie "Typisch Frau, liebt Schuhe...".
Ich weiß natürlich, dass das von den Leuten nicht bierernst gemeint ist. Aber sie bringt uns ja die Schuhe, weil sie raus gehen will. Wenn man ihr und sich selbst die Schuhe angezogen hat, rennt sie zur Tür. Denn den Zusammenhang Schuhe = nach draußen gehen, kennt sie inzwischen. Drinnen in der Bude findet sie es langweilig. Sie möchte lieber draußen spielen. Und die Leute, die solche Kommentare machen, kennen die Zusammenhänge, in denen sie dieses Verhalten zeigt.
Wenn kleine Jungen deutlich machen, dass sie nach draußen möchten, dann ist das 'typisch Jungs'. Aber bei meiner Tochter wird es mit 'Typisch Frau = liebt Schuhe' assoziiert und kommentiert.

Freitag, 14. Juni 2013

Über meine Motivation diesen blog zu schreiben

Manch eine/r meiner wenigen Leser/innen fragt sich vielleicht, warum ich so einen eher langweiligen blog führe. Die Inhalte werden recht trocken dargelegt und ich beschreibe die Situationen ziemlich distanziert. Das ist alles andere als schillernd und nicht grade geeignet hunderte von Leser/innen zu gewinnen.
Es gibt zwei wichtige Gründe, warum dieser blog so ist, wie er ist: 1. Dokumentation und 2. Datenschutz.

1. Dokumentation
Ich habe ja schon einmal beschrieben, wie schwierig es für die Forschung ist die Geschlechtssozialisation auch nur einigermaßen vernünftig zu zu erfassen. Ich interessiere mich sehr für die vielen kleinen Aspekte der Geschlechtssozialisation, die sich so zusammensummieren. Abgesehen von meinem grundsätzlichen Interesse für Geschlechterforschung, gibt es auch noch einige biografische Bezugspunkte. Meine Eltern kamen sich nämlich immer sehr emanzipiert vor. Sie und viele ihrer Freund/innen rühmten sich einer geschlechtsneutralen Erziehung und dennoch war ich immer "ein richtiges Mädchen", war schlecht in Mathe und Naturwissenschaften und interessierte mich für Sprache, Kunst und Kultur. Ich mochte Ballet und nicht Fußball. Meine Eltern haben sich darüber nicht wirklich gewundert, aber in Diskussionen über dieses Thema fiel dann doch immer wieder die Formulierung, dass diese Geschichten der geschlechtsneutralen Eltern eben zeige, dass das Geschlecht eben doch biologisch dominiert wird. Ich kann mich aber noch an einige Vorkommnisse erinnern, die zu eben diesen Unfähigkeiten und Vorlieben beigetragen haben. Beispielsweise habe ich mir jahrelang einen Chemiebaukasten gewünscht. Meine Eltern haben diesen Wunsch vollkommen ignoriert. Ich weiß nicht ganz genau warum, ich glaube meine Mutter sagte irgendwann mal, dass sie befürchtet, dass ich die Einrichtung mit dem Chemiebaukasten ruiniere. Oder ich habe mehrfach gefragt, ob ich die alten Lego-Technik Sachen von meinem Onkel bekommen kann, die auf dem Dachboden herumlagen. Auch diese Frage wurde jedes Mal schlicht und ergreifend ignoriert. Was letztlich mit dem Zeug passiert ist, weiß ich nicht. Wenn ich aber Mädchenwünsche äußerte, dann wurde das doch zumindest thematisiert. Und mein Interesse für Sprache wurde immer sehr gefördert, u.a. mit Aufenthalten im Ausland, etc.
Das erklärt nun erstmal nur mein Interesse für das Thema Geschlechtssozialisation. Aber wie kam ich auf die Idee die Geschlechtssozialisation meines Kindes zu dokumentieren? Nun, da ich selbst in der Geschlechter- und Sozialforschung tätig war, habe ich eine Begeisterung für die qualitative Methodik entwickelt. Ich bewundere die Studie über die Arbeitslosigkeit von Marienthal. In dieser Studie nutzten sie auch Arten von "Tagebüchern" der Dorfbewohner(innen), um deren Situation zu verstehen. Danach wurden Tagebücher immer mal wieder Gegenstand empirischer Analysen. Besonders beeindruckend fand ich es in der ethnografischen Studie von Rebecca Fox über Heimtierhaltung. Sie ließ die Teilnehmer/innen ihrer Studie Heimtiertagebuch führen und wertete dies aus. So bekam sie sehr intime Einblicke in deren Beziehungen zu ihren Heimtieren. Als ich ihre Dissertation las, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass es für die Geschlechterforschung hilfreich sein könnte, wenn Menschen beginnen die Geschlechtssozialisation ihrer Kinder in Tagebuchform festhalten. Und ich beschloss dies auch zu versuchen. Deswegen versuche ich in meinem blog so neutral wie möglich meine Erfahrungen zu dokumentieren, was eben nicht grade zu einem unterhaltsamen Schreibstil führt.

2. Datenschutz
Mir ist durchaus bewusst, dass dieser blog öffentlich zugänglich ist. Ich möchte hier aber niemandem einer Öffentlichkeit aussetzen, die er oder sie nicht selbst steuern kann. Das gilt für mein Kind, wie auch für alle anderen Protagonisten dieses blogs. Daher veröffentliche ich nicht unter meinem Klarnamen und alle auftretenden Personen bekommen einen Decknamen und werden nicht so detailliert dargestellt, dass man sie leicht wiedererkennen könnte (ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass es manchmal doch möglich ist, aber ich gebe mein Bestes dies zu verhindern). Ich verlinke den blog nicht mit meinem Facebook- oder Twitterprofil. Dadurch habe ich einige Einschränkungen, die meiner Dokumentationsabsicht deutlich abträglich sind. Daher werde ich in Zukunft für alle blog-Einträge auch noch echte Tagebucheinträge schreiben, wo ich alles offener und vollständiger dokumentieren kann. Wenn irgendwann ein/e Forscher/in Interesse an einer Auswertung hat, dann kann er/sie gern mit mir Kontakt aufnehmen.

Ich würde mich auch sehr freuen, wenn andere Menschen ebenfalls solche Tagebücher führen würden, um so einer breitere Grundlage für eine wissenschaftliche Auswertung zu schaffen. Selbst wenn diese Auswertung unter Umständen erst in 5, 10 oder 20 Jahren stattfinden wird.

Jedenfalls führt auch diese Anonymisierung aller Beteiligten dazu, dass mir die Tagebucheinträge nicht grade flüssig von der Hand gehen und dem/r Leser/in einen eher distanzierten Blick auf die Situation bescheren, der nicht grade zu fesseln vermag.

Ein richtiger Junge

Ein weiteres Treffen mit unseren Bekannten und dem in diesem Post schon erwähnten "wilden Jungen" Johannes. Diesmal war der Vater nicht dabei, sondern nur die Mutter. Sie hat sich schon Mühe gegeben den kleinen Johannes zu zügeln, denn nach wie vor war es für Emma eine Herausforderung mit ihm auszukommen. Als es zum Ende unseres Treffens kam, da war Johannes Mutter schon etwas erschöpft vom vielen Johannes im Auge behalten und dafür sorgen, dass Emma auch zu ihrem Recht kommt. Ich fand, dass Emma mit der Herausforderung ziemlich entspannt umgegangen ist, z.B. wenn Johannes ihr etwas wegnahm, dann hat sie sich was neues gesucht und nur wenn er ihr wirklich weh getan hat oder sie sehr erschrocken ist, hat sie etwas gejammert. Aber richtig geweint hat sie nie. Von daher war die Situation meiner Meinung nach entspannt. Johannes Mutter kommentierte das Verhalten ihres Sohnes sei schon anstrengend, er sei eben "ein richtiger Junge". Ein Bekannter, der zugegen war und sie schon lange kennt, fand die Aussage bemerkenswert, da sie eigentlich seiner Erfahrung nach nicht der Typ für das Runterspulen von Geschlechtsstereotypen sei und selbst als Kind auch ziemlich wild gewesen ist. Zudem fand er, dass der Ausspruch "Er ist eben ein richtiger Junge!" stolz geklungen hätte, genau wie er es zuvor beim Vater gemeint hatte, festzustellen.

Ich dachte mir: so ist das halt mit älteren Kindern, die stärker sind, die nehmen den kleineren Kindern alles weg was sie interessiert, die schubsen sie herum und zeigen übermütiges Schmuseverhalten, das die Kleinen nicht immer mögen. Emma ist in der Krabbelgruppe mit den kleineren Kindern auch nicht anders. Sie hat einen besonderen Trick, denn manchmal nähert sie sich anderen Kindern von hinten und umarmt sie. Diese sind davon jedes Mal völlig überrascht und weil sie in der Krabbelgruppe alle noch nicht so standfest sind, fallen beide um. Das umarmte Kind weint dann immer, egal ob männlich oder weiblich. Der Schreck ist zu groß. Emma weint nicht, sie weiß ja, was auf sie zukommt.

Kürzlich ist in der Krabbelgruppe auch wieder einmal was Interessantes passiert: Tizia war da und hatte ein sehr schickes Kleid an, mit Blumenmuster und Tüllunterrock. Ich sagte zu ihrer Mutter: "Ein hübsches Kleid hat Tizia da an." Die Mutter antwortete: "Ja, ich habe sie zur Feier des Tages mal fein rausgeputzt, aber Tizia benimmt sich wie immer." Tizia turnte wild überall herum. Darauf hin antwortete eine andere Mutter: "Sie sieht aus wie ein Mädchen und benimmt sich trotzdem wie ein Junge."


Donnerstag, 28. März 2013

die Hütte abreißen


Bevor ich zum eigentlichen Thema dieses Posts komme, hier noch eine Vorbemerkung: Einige Leute im Bekanntenkreis bekommen nun das zweite Kind. Wenn dies ein anderes Geschlecht als das erste Kind hat, dann höre ich zuweilen, dass man ja nun "alle neu kaufen muss". Ich weiß nicht genau, was "alles" ist. Ich vermute aber, dass es vor allem um die Kleidung geht.
Was meint Ihr dazu: Habt oder würdet Ihr Eurer zweitgeborenen Tochter die Klamotten des erstgeborenen Sohnes anziehen? Oder andersherum dem zweitgeborenen Sohn die Sachen der erstgeborenen Tochter?  (Ihr könnt das gern auf Dritt-, Viert- oder Fünftgeborene übertragen, oder auf geerbte Klamotten.) Würdet Ihr zu einer komplett neuen Garderobe neigen oder nur bestimmte - zu geschlechtseindeutige - Stücke aussortieren und ersetzen?


Nun zum eigentlichen Thema: In der Krabbelgruppe gab es zwei bemerkenswerte Vorfälle

Vorfall 1: Eine Mutter erzählt, dass sie sich regelmäßig mit 7 anderen Müttern und deren Babys im Wechsel zuhause treffen. Die Mütter essen zusammen einen Happen und die Babys spielen zusammen. Gabi fragt, ob die Babys, alle sind 18 Monate alt, den jeweiligen Gastgeberinnen nicht "die Hütte abreißen". Die Mutter verneint, sie würden immer eine Spielecke im Wohnzimmer vorbereiten, es sei kein Problem. Nun fragt Gaby: "Habt ihr hauptsächlich Mädchen in der Gruppe, dass das so gut funktioniert?". Die Mutter antwortet, es seinen zwei Mädchen und sechs Jungen. Gaby erzählt dann, dass sie sowas mit ihrem Sohn früher auch gemacht habe, aber die Jungen hätten immer so ein Chaos veranstaltet, dass es nach einiger Zeit zu stressig geworden sei.

Vorfall 2: Im Gruppenraum gibt es eine Schublade, in der Zeug ist, dass für Babys nicht so gut geeignet ist. Es sind Spielzeugautos, von denen sich leicht Kleinteile ablösen können. Emma und Flyn finden die Autos sehr attraktiv. Da Emma jedoch noch so ziemlich alles in den Mund steckt, versuche ich die Schublade vor dem Zugriff der Kinder zu schützen, indem ich eine Kiste vor die Schublade stelle. Schon als ich das tue, sage ich, dass das wahrscheinlich nur eine unzureichende Maßnahme ist, aber der Versuch schade nicht. Flyn schiebt ziemlich bald die Kiste weg und erneut sind die beiden mit den kleinen Autos zugange. Ich schiebe die Kiste wieder vor und Flyns Mutter entschuldigt sich für Flyns Verhalten. Bevor ich etwas antworten kann, sagt Gaby: "Das ist sein männlicher technischer Verstand." Niemand geht darauf ein.

Was mir in solchen Situationen immer wieder auffällt, ist dass ich kaum erlebe, dass die Eltern sich an diesen geschlechtlichen Verhaltensinterpretationen beteiligen. Gaby haut diese Aussagen raus und meistens folgt darauf von seiten der Eltern nur Schweigen. Da ich nicht den Eindruck habe, dass außer mir jemand in der Gruppe gendersensibilisiert sein könnte, bin ich doch immer verwundert, dass keiner mit Gabys Bemerkungen aufgreift.

Ich muss aber auch sagen, dass mir nun seit vielen Wochen in der Krabbelgruppe nichts Spezifisches zu diesem Thema mehr aufgefallen ist. Der Tag sticht daher mit seinen zwei Vorfällen deutlich aus den letzten Wochen heraus. Und ich muss auch erwähnen, dass es eine ganze Reihe von Geschehnissen gibt, die Hardliner/innen der stereotypen Geschlechtskonstruktion optimale Vorlagen bieten würden, und nicht genutzt werden. Solche Situationen könnte man als Undoing Gender bezeichnen. (Was Undoing Gender ist, wird recht kontrovers diskutiert). Ich werde in Zukunft versuchen, mir auch solche Vorfälle besser zu merken, um auch sie verstärkt dokumentieren zu können. Im letzten Krabbelgruppentreffen hat Emma an einem entlegenen Ende des Gruppenraums eine nackte Babypuppe entdeckt. Die Puppe war eines dieser lebensecht gestalteten Modellen aus recht weichem Plastik und sie hatte einen Penis und war komplett nackt. Emma nahm die Puppe und schleppte sie durch den Raum. Sie wurde intensiv beknabbert, auf den Boden geworfen, mit den Füßen herumgetreten, wieder aufgehoben und als es ans Aufräumen ging, holte Emma die Puppe sofort wieder zurück. Doch niemand kommentierte dies. Weiterhin hatten wir dieses Mal einen vier Monate alten Säugling dabei, den sich Lola sehr interessiert ansah. Lolas Mutter sagte, dass Lola sich immer für kleine Babys interessiere würde. Auch das wurde nicht kommentiert.

Aber noch etwas ist mir in der Krabbelgruppe aufgefallen. Die meisten Babys sind ja nun über ein Jahr alt und nun geht es den Jungen an die Haare. Paul, der Älteste in der Gruppe, hat eine richtige Jungenfrisur, also einen Haarschnitt. Flyn hat die Haare mit einem Haarschneider auf ca. einen halben Zentimeter getrimmt bekommen. Karlos und Bobs Haare sind noch untouchiert. Bei den Mädchen hat noch keine irgendwie die Haare gestutzt bekommen. Lola sieht man regelmäßig mit einer Haarspange.

Freitag, 22. März 2013

Wilde Jungs

Vor kurzem waren wir bei Bekannten zu Besuch. Die haben einen Sohn, er ist etwa ein Jahr älter als Emma. Nennen wir ihn Johannes. Johannes hat einen großen Bewegungsdrang und einen ausgeprägten Willen. Emma, die grade laufen kann, weiß auch, was sie möchte, aber wie alle Laufanfänger, steht sie noch etwas unsicher auf den Beinen. Johannes ging recht grob und unvorsichtig mit Emma um: Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich, auch wenn sie das nicht wollte, er versuchte sich auf sie zu setzen, er trat auf ihre Hand und er versuchte auf sie zu springen. Sprich: er war nicht besonders rücksichtsvoll. Das kann man ja von einem zweijährigen Kind auch nicht unbedingt erwarten. Während die Mutter von Johannes und ich eine Zeit lang in der Küche waren, blieb Johannes mit den Väter und Emma im Wohnzimmer. Der Vater von Johannes sah dabei zu und kommentierte das Verhalten seines Sohnes mit Sprüchen wie:

  • "Er ist halt ein wilder Junge."
  • "So sind Jungs halt."
  • Die Frage, ob er das bei einem Mädchen anders erwarte, bejahte er.
Mein Mann war die ganze Zeit voller Sorge um unser Kind und hielt Johannes nach den oben genannten Vorfällen die restliche Zeit gründlich davon ab, Emma überhaupt zu berühren. Er war wirklich sehr verärgert, dass Johannes Vater keine Maßnahmen ergriffen hatte, um seinem Kind irgendwie begreiflich zu machen, dass es mit der jüngeren Spielkameradin vorsichtig umgehen muss. Vielmehr erschien es meinem Mann, als sei er im Grunde stolz auf das wilde Verhalten seinen Sohnes. Fairer Weise muss ich erwähnen, dass für Johannes Vater ja kaum Bedarf bestand direkt seinen Sohn an der Ausführung von unvorsichtigem Verhalten gegenüber Emma zu hindern, da mein Mann ja die ganze Zeit um Emma kreiste, wie ein Helikopter.
Anders bei der Mutter: Ich hatte Johannes Mutter dabei beobachtet, wie sie ihren Sohn im Umgang mit Emma genau beobachtete und ihn auch stets davon abhielt ihr weh zu tun und ihm erklärte, dass er mit ihr vorsichtig sein müsse: "Die Emma kann noch nicht so gut laufen, die kannst du nicht einfach an der Hand mitziehen.", etc.

Als ich später erfuhr, dass Johannes Vater das Verhalten seines Sohnes mit Verweis auf das Geschlecht erklärte und sogar noch meinte, dass Mädchen per se weniger "wild" seien, war ich doch schon erstaunt. Noch weiß ich nicht genau, wie ich die ganze Geschichte einordnen soll. Aber eines ist ganz klar: hier liegt ein glasklarer Fall von aktivem Doing Gender vor. Denn wenn einen die Bewegungsfreude und die "Wildheit" bei einem Jungen direkt als angeborenes männliches Verhalten interpretiert wird, dann ist es doch wahrscheinlich, dass daraus bestimmte Folgen im Erziehungsverhalten und allgemein in den Reaktionen auf das Kind entstehen. Andererseits frage ich mich auch, ob die große Vorsicht, die mein Mann zeigte, nicht wiederum auch Doing Gender war. Wäre er vielleicht weniger besorgt gewesen, wenn wir einen Sohn hätten?

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